Es ist wahrlich nicht zu hoch gegriffen, Werner Herzogs Spielfilm „Woyzeck“ aus dem Jahr 1979 auf der Liste der unvergesslichsten Filme des vergangenen Jahrhunderts auf einem der vorderen Plätze einzuordnen.
Unvergesslich deshalb, weil er sich wie ein lästiges Geschwür in den Kopf seiner Zuschauer einnistet und sich durch die abscheulichen Gräuel, die er dem gesunden Geisteszustand der Betrachter zufügt, für immer in deren Gedächtnis brennt. Stellvertretend für das gesamte Werk erzielt diesen Effekt schon die Anfangsszene, die sich besonders durch die verstörende, ohrenbetäubende Geigenmusik auf traumatische Weise stets in Erinnerung zu rufen versucht.
Ironischerweise spiegelt ebendiese Szene Büchners Werkintention am passendsten wider und hat, als zudem einzige Eigeninterpretation des Originalwerks, immerhin symbolischen Charakter, was die Darstellung von Woyzecks Lebenssituation und die gesellschaftlichen Umstände angeht. Außerdem sind in dieser Szene die einzigen Einstellungswechsel zu finden, die nicht über fünf Minuten auf sich warten lassen und den Zuschauer vor Langeweile zum Abschalten bewegen. Nach dieser, zwar überaus anstrengenden, aber zumindest kreativen, Einstiegsszene verfällt der Film in eine uninspirierte Werkwiedergabe, die dem Genius Büchners alles andere als gerecht wird.
Dass sich für den Dreh lediglich zwei Wochen Zeit genommen wurde, grenzt angesichts des monumentalen Literaturklassikers „Woyzeck“ nahezu an Blasphemie und ist symptomatisch für den Mangel an Mühe, die sich für diesen hochantizipierten Spielfilm enttäuschenderweise gegeben wurde.
Selbst der sonst so herausragende Klaus Kinski scheint durch die schauspielerische Leistung seiner Komparsen stark limitiert zu sein. Dennoch scheint Herzog sich nach der Maxime gerichtet zu haben, Kinski müsse nur so viel Schauspielanteil wie möglich gegeben werden und der Film würde zum Selbstläufer. Dieser fatale Irrtum führt zu unnötig langweiligen, total absurden Einstellungen wie der Mordszene von Marie, die sich über ganze sechs Minuten erstreckt. Diese Szene ist zudem metaphorisch zu betrachten dafür, wie Herzog sowohl Inhalt Woyzecks als auch Reputation Büchners gnadenlos ausschlachtet und Kinski für dieses Vergehen am Originalwerk lieblos als exekutives Instrument nutzt. Auch das geringe Budget mit den dennoch unverhältnismäßig großen Gewinnaussichten zeugt von ebendieser Ausschlachtung.
Es scheint beinahe, als würde Woyzeck auch noch 150 Jahre nach seiner Veröffentlichung, nun nicht mehr nur als Figur sondern sogar als Gesamtwerk, von der Oberschicht, der Regisseure und Produzenten zweifellos angehören, rücksichtslos ausgebeutet werden. Die Reinheit Woyzecks wurde ihm nicht nur von Doktor und Hauptmann sondern nun sogar von Werner Herzog durch sein liebloses Vorgehen genommen. Ein Herzog, der die kleinen Leute wie Woyzeck bedingungslos ausnimmt? – Das gab es schon zur Zeit Büchners!
Marvin Ganß und Emil Dröll
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