Tori Spring. „Meistens wäre es ihr viel lieber, sich nicht mit anderen Menschen beschäftigen zu müssen.“ So wird die Protagonistin des 2015 in der dtv Verlagsgesellschaft erschienenen Jugendromans „Solitaire“ beschrieben. Die Autorin Alice Oseman erzählt auf etwa 360 Seiten, wie sich Online-Bloggerin Tori mit Michael anfreundet, der gerade an die Schule gewechselt ist und bei den meisten als “König der Freaks” gilt. Als der anonyme Betreiber des Online-Blogs Solitaire mit fragwürdigen Aktionen wie Geigenvideos auf den Smartboards und Madonna-Liedern in Dauerschleife per Lautsprecher die Schule in Aufruhr versetzt, versuchen Tori und Michael herauszufinden, wer dahintersteckt. Niemand hätte ahnen können, dass es wirklich gefährlich werden könnte, und niemanden außer Tori scheint es zu interessieren…
Die meisten Menschen waren oder sind in der Pubertät. Und die anderen werden irgendwann noch in die Pubertät kommen. Es kennt also sicher jeder das Gefühl, wenn alles zu viel wird und alles einfach furchtbar ist. Während des Lesens des Jugendromans „Solitaire“ kommt ein Gefühl des Verständnisses dafür auf. Nicht nur die Charaktere kann ein Lesender gut verstehen, er/sie selbst fühlt sich plötzlich auch verstanden. Vielleicht ist das von Anja Galic übersetzte Buch auch deshalb so fesselnd, weil es so authentisch geschrieben ist. Die selbst noch sehr junge Autorin Alice Oseman war 17 als sie „Solitaire“ schrieb und hat daher Erfahrungen mit dem Teenager-Dasein aus erster Hand. Die Charaktere sind definitiv das Hauptaugenmerk an diesem Roman. Sie handeln nicht nur nachvollziehbar und sind sehr vielschichtig und interessant, sondern mit der Zeit sind sie der Grund, weiterzulesen. Sie bilden nicht die typischen Klischees ab, sondern repräsentieren eine Vielschicht von verschiedener Menschen, und jeder kann jemandem finden, mit dem er/sie sich identifizieren kann. Generell werden die Protagonisten schnell ins Herz geschlossen und das Buch soll am liebsten gar nicht zu Ende gehen, um noch mehr über sie lesen zu können.
Die Handlung, die nicht ganz so stark ist, tritt dabei hin und wieder sogar beinahe in den Hintergrund. So wirklich Fahrt aufnehmen, tut diese sowieso erst gegen Ende, welches leider auch ein wenig vorhersehbar ist. Dann gibt es nur doch mal den ein oder anderen „WTF-Moment“, denn es bleibt nicht beim gewöhnlichen Schulalltag, sondern wird mit Verletzungen sogar wirklich gefährlich. Die Sorge um die liebgewonnenen Charaktere lässt einen dann doch gespannt weiterlesen und sorgt dafür, dass das Buch nicht mehr aus der Hand zu legen ist.
Aber das Überzeugendste an dem Roman ist letztendlich der Schreibstil. Den kurzen Sätzen lässt sich gut folgen und sie machen die Story gut nachvollziehbar. Die Einfachheit vermittelt den Eindruck von spontanen Gedankengängen, die schnell, aber doch sorgsam formuliert, eingeschoben sind. Besonders die Beschreibungen der Eindrücke der Umgebung sind sehr authentisch. Dabei finden besonders Kleinigkeiten ihre Beachtung. Details, die eventuell bemerkenswerter sind als die allgemeine Umgebung und auf die auch im echten Leben eher geachtet wird, sonst aber selten beschrieben werden. Sie machen die Leseerfahrung wesentlich realistischer und lassen den Leser hautnah miterleben, wie es in Toris Kopf aussieht.
„Der Cafébesitzer murmelt etwas vor sich hin. Eine alte, auf einen Gehstock gestützte Frau kommt herein und setzt sich an einen Fensterplatz in unserer Nähe. Es scheint sie sehr anzustrengen. Mir fällt auf, dass die Blumen auf unserem Tisch aus Plastik sind.“ (S. 147)
Der Jugendroman „Solitaire“ ist auf jeden Fall zu empfehlen, besonders für alle chronischen Pessimisten zwischen 13 und 18 Jahren, die sich womöglich gerade zufällig selbst in der Pubertät befinden. Sobald die ersten fünf Kapitel geschafft sind, lässt sich das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. Hier ist nicht die Handlung, die womöglich ein paar Schwachstellen hat, das entscheidende, viel mehr die Zuneigung zu den Charakteren lässt den Leser neugierig bleiben und die Geschichte geradezu verschlingen. Der geschickte Schreibstil, der einen kaum mehr loslässt, macht es besonders leicht, sich in Toris Gedanken zu verlieren. Insgesamt bekommt „Solitaire“ von mir 8/10 chronisch-pessimistischen-Blogs. Ich selbst wollte eigentlich nur das 7. Kapitel lesen und plötzlich war ich auf der letzten Seite angelangt. Traurig, dass es zu Ende war, aber auch zufrieden mit dem Epilog, wird sofort nach weiteren Büchern von Alice Oseman gesucht, wobei die beiden Spin-offs von „Solitaire“ auftauchen. „Nick & Charlie“ und „This Winter“ geben dabei einen weiteren Einblick in das Leben von Tori und ihrem Bruder Charlie für alle, die von den liebgewonnenen Charakteren noch nicht genug haben.
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