22. Dezember 2017. 8:30 Uhr am Morgen – Es ist kalt, es regnet, eine zarte Windböe bläst. Die Schülerschaft versammelt sich hochmotiviert und freudestrahlend unter freiem Himmel, die Ferien rücken in weite Ferne. Mit unseren Füßen stehen wir in den Pfützen, die sich auf unserem intakten Schulhof bilden. Es ist uns egal. Keiner rührt sich, keiner spricht. Nach dem spontanen Auftritt der Big Band betritt Frau Roth-Sonnen die Bühne – Blitzlichtgewitter, tosender Applaus, kniende Schülermengen folgen. Auch die letzten hören jetzt auf, ihre farbenfrohen Luftballons aufzupusten. Es ist soweit. Das Leitbild steht kurz davor, eingeführt zu werden, die Spannung ist greifbar, die Stimmung sensationell, was für ein Festakt!
Kälte, Schmerz und so mancher Kater vom Vorabend weichen Begeisterung und Erstaunen, als wir mit aufgerissenen Mündern der obligatorischen Brandrede lauschen. Es ist wie ein Stich ins Herz, als uns unsere neue Schulleiterin beichtet, dass sie ihre “20-seitige Rede” vergessen habe. Ein Raunen geht über den überfüllten Schulhof, jüngere Schüler müssen getröstet werden. Das sind wir von Frau Sauer aber anders gewohnt! Als sich die Lage wieder beruhigt hat, betritt Sven Heimer, der erste Schülersprecher, König des Sarkasmus und SGE-Fan, die Bühne. Neben dem Meer aus Luftballons wirken große Teile seines „untertänigen Volkes“ traumatisiert.
Mein festliches Hochgefühl ist inzwischen gewichen. Auf meiner Haut spüre ich die Regentropfen. Kälte breitet sich erneut in mir aus. Meine neidvollen Blicke wandern immer wieder zu den unzähligen Fotographen: Hoch über unseren Köpfen lehnen sie sich im warmen Altbau aus den Fenstern und würden das Spektakel für alle Ewigkeiten festhalten, um dann die frohe Kunde schnellstmöglich in ferne Länder tragen zu können.
Sven Heimer atmet ein, bevor er das Mikro ansetzt, damit er anschließend ebenfalls zugeben kann, auch seine “20-seitige Rede” daheim vergessen zu haben, sowieso aber viel lieber zuhause geblieben wäre. Dennoch würdigt er , es seien “Blut, Schweiß, Tränen und viel Geld” für dieses Projekt geflossen sein. Chapeau, ein wahrer Held! Er hat das ausgesprochen, was viele von uns im Inneren denken. Unter den aufhellenden Lachern, geht die anschließende Rüge Svens von Frau Breitwieser unter. Der faszinierte Schüler Faron Aaniel Dranz * meint nur: „Das war so eine geile Rede vom Heimer!”
Zu diesem Zeitpunkt halten bereits motivierte und strahlende Bio-LK Schüler der Q3 ein Gatter aus Absperrband, denn nun sollen wir das neue und komplett veränderte Schullogo abbilden: Wir werden anhand der Farbe unseres Luftballons in die Gruppen “Hell” und “Dunkel” getrennt. Dann werden wir in das Gatter getrieben. Alles muss jetzt ganz schnell gehen, Familien werden getrennt, Freundschaften zerrissen, die Luftballons werden als Schlagwaffe benutzt. Aus dem entfernten Hintergrund beschallt uns die Big Band, der sowieso niemand zuhört, weil sie zu weit weg ist und wahrscheinlich nur spielt, um sich nicht unnötig zu fühlen oder gar mit auf das Bild zu müssen.
Als ich endlich stehen bleiben darf, finde ich mich am äußeren Rand wieder. Neben mir glücklicherweise meine Freunde und ein kleiner Fünftklässler, der mir leid tut, da er nichts sehen kann… ich nehme ihn gütig auf meine Schultern. Während wir also enthusiastisch Herr Kottmann mit unseren Luftballons winken, der ebenso wie die zahlreichen Journalisten Bilder aus dem Altbau heraus macht, keimt in mir eine böse Befürchtung auf… Was, wenn das Bild nicht gut aussehen wird? Auf der gegenüberliegenden Seite stehen die Schüler aneinandergedrückt wie in einer Diamanten-Presse, bei uns hingegen ist Atmen noch möglich.
Meine Schultern schmerzen mir nach mehreren Minuten schon, doch endlich ist alles vorbei und wir werden in die Freiheit entlassen. Ich mache mich auf den Weg zurück, vorbei an den Schülern der Big Band, die nun “Seven Nation Army” spielt; einen Klassiker, den wir auf anderen Schulveranstaltungen noch nie zu hören bekamen. Ein Blick zurück auf den Roten Platz, der wegen der kaputten Luftballons und dem zerrissenen Absperrband wie eine Müllhalde aussieht, macht mir deutlich, dass ich dringend in die Ferien möchte.
Unter lockeren Anwesenheitskontrollen ist die dritte und letzte Schulstunde schnell vorbei. Die Schule ist für dieses Kalenderjahr wieder einmal ein abgeschlossenes Buch, das aber die letzten Seiten definitiv nicht gebraucht hätte. Außerdem möchte ich mich an dieser Stelle bei Herr Schönfelder bedanken, der dafür gesorgt hat, dass ich an diesem Freitag nicht völlig unnötig in der ersten Stunde zur Schule kommen musste. Trotzdem kann ich nur jene 30% beneiden, die sich die hochgepushte Einweihung des Schulleitbildes gespart haben und zuhause geblieben sind. Letztendlich wurde diese gute und aufwendige Planung der SV unter der Führung von Daniel Schan von der Schulleitung mit Füßen getreten, indem vor allem Frau Roth-Sonnen die Veranstaltung trotz schlechten Wetters draußen hat stattfinden lassen. Hätte man nicht in die Sporthalle gehen oder den Termin verlegen können?
Abschließend stellt sich nur noch die Frage: “Was steht eigentlich außer einem Rechtschreibfehler noch im Leitbild drin?” – daraus ist an diesem Tag wohl keiner schlau geworden.
*Name geändert, aber Instagram: @sugardaddy_6669
Titelbild: Norbert Kottmann
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