Schon der lustige Hippie Jesus von Nazareth predigte in seiner Bergpredigt die Worte „Wer suchet, der findet“ – ein Spruch, der in Zeiten der Digitalisierung nicht zeitgemäßer sein könnte. Sind wir auf der Suche nach Informationen oder nach Wissen ist unangefochten die am häufigsten hinzugezogene Quelle das Internet – genauer die freie Enzyklopädie „Wikipedia“.
Wikipedia ist ein nichtkommerzielles und offenes Projekt zur Erstellung eines kostenlosen und freien Nachschlagewerks. Jedes Gulaschkind kann neue Artikel erstellen oder bereits verfasste Artikel bearbeiten. Bis heute wurden schon über 48 Millionen Wikipedia Artikel in 295 Sprachen verfasst, etwa 2,24 Millionen davon deutschsprachig. Somit ist Wikipedia nicht nur das umfangreichste Lexikon der Welt, sondern auch eine der am häufigsten besuchten Websites.
Jetzt könnten natürlich einige schwefelhaltige Schlawiner, die denken sie seien raffiniert wie Zucker, behaupten, man könne ja als normaler Benutzer wertende oder werbende Aussagen in seine oder andere Artikel einarbeiten oder gar „Fake News“ verbreiten. Diese Befürchtungen sind auch der Grund, weshalb Wikipedia als Quelle in Präsentationen oder Hausarbeiten nicht gern gesehen wird.
Um dem entgegenzuwirken, müssen alle angegeben Informationen mit Belegen hinterlegt werden. Gibt es Meinungsverschiedenheiten zu bestimmten Sachverhalten, existiert zu jedem Artikel eine eigene Diskussionsseite. Kommt es zu keiner Einigung, dann entscheidet ein Administrator, von denen es allein in Deutschland ca. 250 gibt, über den Ausgang des Konflikts.
Doch wie kann man nun einen eigenen Wikipedia Artikel veröffentlichen?
Ich selbst habe das Szenario mal durchgespielt. Dies hier ist mein mehr oder weniger emotional stabiler Erfahrungsbericht.
Es war zwar nicht verpflichtend, aber trotzdem erstellte ich mir zuerst mal einen Wikipedia Account mit dem seriösen Benutzernamen „dönerdetektiv“. Jetzt brauchte ich ein Thema. Da es noch keinen Wikipedia Artikel zum Max-Planck-Gymnasium in Umstadt gibt, sondern nur einen Entwurf vom 23. Dezember 2006, der von dem Ehrenmann-Administrator „AHZ“, wahrscheinlich ein Choleriker ersten Gerades, mit der Begründung „Müll“ gelöscht wurde, entschied ich mich für dieses Artikelthema.
Als nächstes kam der Relevanzcheck – anhand mehrerer Relevanzkriterien musste ich überprüfen, ob mein Artikel denn relevant genug für Wikipedia sei. Ich schrieb also eine ausführliche Argumentation, in der ich unter anderem meine Artikelstruktur und meine Quellen preisgab. Schon nach wenigen Stunden reagierten einige Benutzer auf meine Anfrage und kamen zu dem Entschluss: „Basierend auf vernünftigen Quellen (und aufgrund der Größe und Geschichte [der Schule]) sollte ein Artikel über die Schule hier erwünscht sein und nicht gelöscht werden“ (Zitat: Schnabeltassentier).
Ich wurde daraufhin an das „Mentorenprogramm“ weitergeleitet, welches mir einen Mentor zuwies, an welchen ich mich bei Fragen wenden hätte können. Der durchaus ungewöhnliche Name meines Mentors „Toni Müller“ ließ mich schon misstrauisch werden – und das zurecht. Kaum war Toni mein Mentor, erhielt ich schon eine Nachricht von ihm. Es war eine vorgefertigte und total unpersönliche Willkommensnachricht, welche ich schon beim Anmelden von einem unseriösem Wikipedia Benutzer bekommen hatte.
Ich war enttäuscht vom Mentorenprogramm und fühlte mich alleingelassen. Ich hatte Angst vor dem was kommen mag, tappte im Dunkeln und verlor fast die Kontrolle über mein Leben. Ich antwortete Toni nicht mehr, versuchte ihn zu vergessen und mich wieder mehr auf mich und meine eigenen Bedürfnisse zu konzentrieren.
Und tatsächlich: Ich schaffte den Sprung und fand heraus, dass es vorgefertigte Strukturen für Artikel über Schulen gab. Von allgemeinen Informationen, Geschichte, Architektur bis zur Öffentlichkeitsarbeit gab es eine vorgegebene Gliederung, die man einhalten musste. Selbst die „Zaitung“ hätte erwähnt werden können.
Ich wagte mich also an den vorletzten Schritt: An das Sammeln von Belegen. Hierzu besorgte ich mir Literatur über das Groß-Umstädter Max-Planck-Gymnasium, denn es ist Pflicht, jede nicht-triviale Aussage bei Wikipedia zu belegen.
Nun hätte ich endlich anfangen können, jedoch kam alles anders. Ich verfiel in alte Muster. Toni verfolgte mich. Dachte ich an meinen Artikel, dachte ich an ihn. Ohne Mentor ist es nicht leicht, sich auf Wikipedia zurechtzufinden… An was Toni wohl gerade arbeitet? Vielleicht denkt er mal an mich, wenn er irgendjemandem hilft…
Wäre alles anders gekommen, hätte ich meinen Artikel nach dem Fertigstellen in die Eingangskontrolle einweisen können. Dort wäre er von einem Administrator gelesen und dann veröffentlicht worden. Bei Mängeln hätte der Admin ihn in die Qualitätssicherung eingetragen, in welcher er überarbeitet worden wäre, oder hätte ihn gelöscht. Doch dies konnte ich nicht mehr miterleben. Ich beschloss das Selbstexperiment abzubrechen.
Ich habe großen Respekt vor allen „Wikipedianern“, die dem was mit auf dieser Seite passiert ist, emotional und psychisch standhalten können. Ein paar Wochen später, pünktlich zum neuen Jahr, bekam ich die E-Mail, Toni Müller habe mich aus dem Mentorenprogramm ausgetragen. Ich war endlich frei.
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