Ein literarischer Beitrag von Anouk Schnabel zum Heimatabend
Wo auch immer der Regen auf die Straße fiel, ließ er kleine Figuren tanzen und das Geräusch, der auf die Holzpaletten fallenden Tropfen, klang beinahe wie Musik.
Man hörte ein paar Kinder, die unten an der Straße in den Pfützen und die schnellen Schritte schwerer Stiefel. Die Straßen waren voll mit schwarzen und grauen Regenschirmen, nur hin und wieder einige bunte Farbklekse dazwischen. Ähnlich war das Fell der Kaliko Katze, die sich unter den Holzpaletten versteckte, um Schutz vor den wie Nadeln stechendenden Regentropfen zu suchen. Ihr schwarzes Fell zog sich von ihrem Schwanz über ihren Rücken, wo es hin und wieder von weißen und orangefarbenen Flecken unterbrochen wurde, bis zu dem Übergang in weißes Fell, welches ihre Brust und ihr Gesicht schmückte. Ein Ohr war schwarz und ein orangefarbener Fleck zierte den Rücken ihrer Nase und umschloss außerdem ihr rechtes Auge. Eine sehr hübsche, aber leider einsame Katze.
Sie saß dort seit der Regen begonnen hatte, als Streuner war es nicht leicht Schutz vor schlechtem Wetter zu finden. Sie war nur erleichtert, dass der Herbst immer noch einige Tage entfernt und das Wasser daher noch nicht allzu kalt war. Trotzdem wären ein gemütliches Haus und ein warmer Platz an einem Kamin jetzt angenehmer.
Die Schildpattkatze hatte nicht immer auf der Straße gelebt. Es war gar nicht mal so lange her, da hatte sie den warmen Kaminplatz gehabt, von dem sie nun träumte.
Sie hatte mit einem netten älteren Herrn gelebt, der sie immer sehr gut umsorgt hatte. Jeden Abend hatte er sie auf seinem Schoß schlafen lassen und hatte sie gestreichelt, während er auf diese senkrecht aufgestellte Fläche geschaut hat, die, wann immer er nicht da war, meist komplett schwarz war. Nur wenn er sie ansah waren bunte Bilder auf ihr zu sehen, die manchmal ähnlich mit dem waren, was die Kaliko Katze auf der Straße sah, manchmal völlig unbekannt, neu und eigenartig. Sie hatte damals einen schönen Namen, den er ihr gegeben hatte, doch leider konnte sie sich nicht mehr so recht daran erinnern.
Es ist schon recht lange her, da hatte der nette Herr irgendwann aufgehört mit ihr zu spielen, sie abends auf den Schoß zu nehmen und ihr Futter in die kleine Schüssel zu geben. Er lag den ganzen Tag nur noch in seinem Bett und eine junge Frau kam jeden Morgen. Seit dieser Zeit durfte die Katze nicht mehr in das Schlafzimmer ihres Herrchens und die fremde Frau füllte in Zukunft die Schüssel auf und ließ sie rein und raus.
Ihr Herrchen hatte sie schon ewig nicht mehr gesehen und nachdem sie einmal die Nacht draußen verbracht hatte, saß sie lange vor dem Fenster, durch das sie normalerweise ein und ausging. Doch, so lang sie auch wartete, weder ihr Herrchen, noch die Frau kamen, um ihr zu öffnen.
Als sie Hunger bekam, begann die Kaliko Katze etwas verzweifelt durch die Gegend zu wandern, blieb aber immer in der Nähe ihres Hauses, falls ihr Herrchen wiederkommen und ihr das Fenster öffnen sollte. Was aber bisher nicht geschah. Die Schildpattkatze überlebte lediglich, weil der etwas verängstigte nette Kater zwei Häuser weiter sein Futter mit ihr teilte. Doch als diese Familie wegzog, war sie komplett auf sich allein gestellt.
Wieder in der Gegenwart, schreckte sie aus ihrem Schlaf auf, als sie Schritte hörte, die nicht, wie gewöhnlich, an der kleinen Gasse zwischen den Häusern vorbei liefen, sondern eindeutig näher kamen, direkt auf sie zu. Schnell war sie auf den Beinen um eventuell zu fliehen, falls es nötig sein sollte.
„Oskar, komm zurück!“, rief eine Frauenstimme und nun erkannte die Kaliko Katze die Mutter zu dem kleinen Kind, das sorglos in die schmale Gasse zwischen den Häusern gelaufen war. „Miez!“, war alles, was die junge Frau als Antwort bekam, der kleine Junge war offensichtlich ganz begeistert, eine Katze gefunden zu haben. Falls das breite Lächeln auf seinen Lippen irgendein Indikator war. Er machte einige weitere Schritte auf das Tier zu, diesmal aber wesentlich vorsichtiger. Er ging leicht in die Hocke und streckte die Hand aus, um die Schildpattkatze vorsichtig zu tätscheln. Nur ganz leicht, ein, zweimal strich er mit der flachen Hand über ihren Kopf, und dann stand die Mutter daneben. Den Schirm hatte sie schließen müssen, da die Gasse zu eng dafür war.
„Na komm, Oskar, wir müssen wieder heim.“
„Miez! Komm!“ Der Junge ging ein paar Schritte in Richtung seiner Mutter, blieb dann stehen und wartete auf die Reaktion der Katze. Diese legte jedoch nur den Kopf schief und sah den Jungen aus großen grünen Augen an.
„Komm, Miez!“, wiederholte er.
„Oskar, die Katze kann nicht mit uns mitkommen, die gehört bestimmt jemandem.“
Die junge Mutter konnte nicht wissen, dass sie mit dieser Annahme falsch lag.
Zu dünn vom Hunger, nass und zerzaust vom Wetter, die Erinnerung an das angenehme Leben bei ihrem Herrchen längst völlig verblasst, sah die Katze aber eigentlich auch nicht aus wie ein liebevoll umsorgtes Haustier.
Die Frau nahm ihren Sohn an die Hand und ging zurück auf die Straße, wo wahrscheinlich der Vater wartete.
„Was war los?“, fragte er, denn er bemerkte, wie unzufrieden der Junge wirkte.
„Da war eine Katze und ich wollte, dass sie mitkommt.“
Die Schildpattkatze war nun in der Tat einige Schritte hinterhergekommen, nun beinahe auf der Straße, aber weiter nah an die Hauswand gepresst, um Wind und Wetter so gut es ging zu entkommen.
„Miez! Komm, Miez! Komm mit!“, rief Oskar, als er die Kaliko Katze erneut erblickte.
„Wir können die Katze nicht einfach mitnehmen, mein Schatz, die gehört bestimmt jemandem“, versuchte nun die Mutter ihrem Kind zu verdeutlichen. Doch ihr Mann schüttelte den Kopf. „Sieh dir doch mal die Katze an, die ist völlig ausgehungert und zerzaust, und scheinbar hat sie auch kein Zuhause.“
„Wir können sie trotzdem nicht einfach mitnehmen. Was, wenn sie Würmer oder so etwas hat? Oskar wird so schon oft genug krank.“
Der Vater nickte nun nachdenklich. „Du hast ja Recht…“
Er nahm seinen Sohn ebenfalls an die Hand und die kleine Familie ging weiter, die Kaliko Katze sah ihnen nach.
Nur der kleine Junge drehte sich noch ein paar Mal um, um sehnsüchtig zu der neuen Freundin, die er gefunden hatte, zurück zu sehen.
Von diesem Tag an, sah die Schildpattkatze den Vater der kleinen Familie immer wieder in der Gegend. Auch wenn es wohl nichts Besonderes war, wenn sie in der Nähe wohnten, fiel der Mann ihr doch immer wieder auf. Sie beobachtete, wie er die Straße hoch und runter und von Haus zu Haus ging und sich häufig mit den Bewohnern der Häuser unterhielt.
Der Herbst kam langsam und die Sonne wurde kälter, der Wind schneidender und die Blätter bunter. Die Straßenkatze wusste, was das bedeutete. Der Winter würde bald da sein, und diese Zeit würde definitiv schwer werden. Es war erst ihr zweiter Winter auf der Straße, und es grenzte wirklich an ein Wunder, dass sie den ersten überlebt hatte. Doch damals hatte sie auch noch etwas Futter von dem netten Kater abbekommen. Diesen Luxus würde sie diesen Winter nicht haben.
Die Sonne stand hoch am Himmel und die Katze streunte wie sonst auch durch die kleinen Gassen, die sie besser kannte als das Muster ihres Fells. Sie machte ein paar Schritte auf die Straße und war etwas überrascht, als sie seit langem einmal wieder den Vater des kleinen Jungen, an den sie immer mal wieder dachte, erblickte. Er war eine Weile nicht da gewesen, doch nun ging er wieder die Straße entlang, eine eigenartige Gitterbox in einer Hand und eine raschelnde Schachtel in der anderen. Die Katze blieb stehen und beobachtete das eigenartige Verhalten, bis der Mann sie ebenfalls sah. Er kam noch etwas näher und ging dann in die Hocke. Er stellte die Box ab und raschelte weiter mit der Schachtel. Sie erinnerten stark an die Schachteln, aus denen ihr ehemaliges Herrchen ab und zu kleine besonders leckere Happen gezaubert hatte. Ihre Neugierde war eindeutig geweckt und sie machte ein paar Schritte auf den Mann zu. Vorsichtig und weiterhin angespannt, falls sie doch weglaufen musste, schnupperte sie an der ausgestreckten Hand, auf der tatsächlich zwei dieser Leckereien lagen. Darauf achtend mit ihren Zähnen nicht in die Hand des Menschen zu beißen, schnappte sie sich ein kleines Leckerli und kaute es genüsslich, bevor sie erneut an der Hand schnupperte. Der Mann streichelte sie stattdessen vorsichtig und legte weitere Leckerlis in die Box. Auch wenn der Katze das komisch vorkam, war die Versuchung doch zu groß und sie ließ sich dazu verführen, in die Box zu klettern, um an die köstlichen Happen zu kommen. Dann wurde die Box zugeklappt. Panisch merkte sie, wie sie hochgehoben wurde und die Box schwang ein wenig hin und her während der Mann loslief. Auch die weiteren Leckereien, die sie noch in der Box fand, konnten sie nicht beruhigen.
Einige Stunden später fand sich die Kaliko Katze in einem Hausflur wieder. Sie fühlte sich nicht wirklich gut, denn der Mann hatte sie in einen Raum mit vielen anderen Katzen in ähnlichen Boxen und einigen Hunden gebracht, wo er eine Weile einfach neben anderen Menschen gesessen hatte, ohne ein Wort zu sagen. Schließlich ging er mit ihr in ein anderes Zimmer.
Dann war es vorbei. Aber gut fühlte sie sich immer noch nicht, besonders da sie keine Ahnung hatte, wo sie hier war. Ihre Box wurde in diesem Flur abgestellt und geöffnet, und sie war scheinbar frei sich zu bewegen. Nur war sie nicht sicher, ob sie das wollte.
Bis schließlich eine der Türen zu dem Flur geöffnet wurde und der kleine Junge, den die Katze noch so gut in Erinnerung hatte, in den Flur kam.
„Miez!“ Sofort kam der Junge zu der Katze um sie erneut zu streicheln, ziemlich genau so wie an dem verregneten Tag, an dem er sie das erste Mal gesehen hatte. Ein, zweimal strich er mit der flachen Hand über ihren Kopf. Vorsichtig kletterte sie aus der Box und schwor sich, nie wieder eine Tatze da hinein zu setzen. Was bei späteren Tierarztbesuchen schwierig wurde. Sie hatte eine Schüssel in der Küche, nur für sich, und ein Fenster, durch welches sie hinein und hinausgehen konnte. Von nun an musste sie sich keine Gedanken mehr um den Winter machen, denn sie hatte ihren Platz am Kamin wieder. Sie hatte ihre abendlichen Streicheleinheiten wieder. Und sie hatte ihren Namen wieder.
Liko hatte ihr Zuhause wieder.
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