Darf man jemanden töten, weil er weniger intelligent ist als man selbst? Oder weil derjenige der Gesellschaft nichts anderes “bieten” kann? Vielleicht weil er anders aussieht, nicht Teil unserer Gruppe ist?
Die meisten von euch antworten wahrscheinlich “nein” auf alle diese Fragen. Und doch sind dies die beliebtesten Argumente dafür, dass Tiere im Gegensatz zu Menschen keine Rechte haben sollten.
In der Schülerzeitung gab es bereits viele Artikel über die vegane Ernährung oder Lebensweise, allerdings fehlen ihnen größtenteils die ethischen Hintergründe. Zwar wird die moralische Fragwürdigkeit der Tierhaltung angesprochen, aber nicht vertieft und erst recht nicht in die Tat umgesetzt. Meistens endet es im Entschluss zur Reduktion, also dem Bekenntnis weniger Tierprodukte zu kaufen. Nicht nur ist dieses Statement offen für jegliche Interpretation, sondern es verfehlt das Thema. Denn wir würden uns auch nicht entscheiden unsere Kinder weniger zu schlagen oder Leute nicht ganz so häufig zu beleidigen. Wenn etwas verwerflich ist, dann sollte man es nicht tolerieren, egal wie oft es geschieht. Und bevor ihr nun antwortet, man könne Menschen und Tiere nicht vergleichen, sehen wir uns die Argumente an:
Oft löst der alleinige Vorschlag Tierprodukte zu essen sei unmoralisch Wut und Ablehnung aus. Jeder dürfe essen was er wolle, argumentieren die Leute, auch wenn das Problem nicht ausschließlich im Essen, sondern vor allem im Herstellen dieses Produktes liegt, denn dies kann gar nicht in einer “humanen” Weise geschehen. Abgesehen davon, dass der Veganismus sich nicht auf der Ernährung beschränkt, sondern allumfassend Tierleid vermeiden will wann immer dies machbar ist.
Die Fragen, die ich euch am Anfang gestellt habe, sollten illustrieren, dass die meisten Menschen inzwischen intuitiv gegen Diskriminierung, basierend auf zufälligen Charakteristiken, sind, es aber im Falle von Tieren rechtfertigen. Diese Art der Argumentation ist nicht konsistent. Menschen mit einer schweren geistigen Behinderung oder kleine Kinder würden wir schützen, Tiere auf demselben kognitiven Stand töten oder verletzen wir. Wir akzeptieren in den meisten Fällen, dass manche nicht arbeiten können, sei es wegen Krankheit oder mangelnden Fähigkeiten, bei Tieren heißt es oft, sie können nur durch unsere momentane Landwirtschaft beitragen. Ab und zu wird auch die Argumentation außen vor gelassen und stattdessen an die Intuition appelliert. Den meisten Leuten seien andere Menschen wichtiger als Tiere. Nicht nur lässt diese Ideologie zu, Menschen außerhalb derer, die uns nahe stehen, zu verletzen, sie würde auch Rassismus, Homophobie, Sexismus und ähnliches erlauben oder zumindest hätten sich diese Haltungen nie geändert, denn es gab durchaus Zeiten, in denen Männer auf Frauen oder Heterosexuelle auf Homo- oder Bisexuelle herabgeblickt haben.
Auch in anderen Bereichen greifen viele zu Rechtfertigungen, die sie sonst nicht durchgehen lassen würden. Gott habe uns die Tiere zum Essen gegeben oder erlaube zumindest den Verzehr von Fleisch und anderen Tierprodukten. Die Bibel befürwortet nun aber teils alles vom Töten von Kindern bis hin zur Sklaverei. Außerdem steht keine Religion fest, jeder kann behaupten es gäbe einen bestimmten Gott, der ihm dies oder jenes gestattet hätte. Genauso gibt es zahlreiche Traditionen, die wir zurecht ablehnen, wie das Verstümmeln weiblicher Geschlechtsteile in gewissen Ländern oder die Idee manche Dinge würden nur Männer oder nur Frauen gut können.
Wir stellen uns aktiv gegen solche Praktiken und Äußerungen. Warum verlangt man also beim Veganismus das Respektieren oder sogar stille Hinnehmen der “persönlichen Entscheidung” Tierprodukte zu kaufen? “Leben und Leben lassen” heißt es oft, aber genau das tut man nicht, wenn man sich ein Steak oder ein Paar neue Lederstiefel bestellt. Die persönliche Entscheidung endet nämlich dort, wo sie anderen schadet. “Die Freiheit deine Faust zu schwingen hört bei meiner Nase auf”, heißt es im Englischen. Eigentlich klar, in diesem Fall offensichtlich nicht.
Viele stellen es allerdings so dar, als gäbe es kaum eine andere Möglichkeit, weil es einfach in unserer Natur liegt. Klar, wir sind Omnivore, können also problemlos tierische Produkte zu uns nehmen. Andere Tiere tun es auch, sie jagen und fressen einander, ohne Frage. Allerdings töten sie auch Mitglieder ihrer eigenen Spezies, vergewaltigen einander oder fressen den Nachwuchs eines Rivalen. All diese Taten sind vollkommen natürlich, können wir sie jetzt auch begehen? Sollen wir aufhören Krankheiten oder Naturkatastrophen zu bekämpfen, da auch sie völlig natürlich sind? Anderen Tieren fehlt zumindest in Teilen moralisches Verständnis – nochmal, so wie bei einem kleinen Kind zum Beispiel – uns nicht. Also sollten wir darauf achten was das wenigste Leid verursacht, nicht was am natürlichsten ist.
Einige von euch stimmen vielleicht sogar schon lange mit meinen Ideen überein, sind aber dennoch nicht vegan, weil sie denken sie schaden Tieren nicht, wenn sie von “guten” Höfen kaufen.
Den meisten Leuten ist immerhin bewusst, dass in der Massentierhaltung, aus der übrigens 98% des Fleisches kommt, schlechte Zustände herrschen, also suchen sie nach Alternativen. Tieren wird allerdings, abgesehen davon, auch auf anderen Wegen geschadet, um Produkte aus ihnen oder den Dingen, die sie produzieren, zu machen. Selbst für vegetarische Produkte müssen Tiere leiden. Sehen wir mal davon ab, dass fast all diese Tiere ihr Dasein ebenfalls in der Massentierhaltung fristen, werden so Kühen die Kinder genommen, da sie als Säugetiere nur Milch für diese produzieren. Solch eine Trennung ist traumatisch für beide Seiten und führt zu tagelangem Schreien nach der Mutter bzw. dem Kind. Um die Trennung zu verhindern, müsste man die Kühe noch mehr überzüchten. Sonst würde das Melken nicht genügend Milch für den Verkauf erbringen. Außerdem werden sie künstlich befruchtet, indem ein Arbeiter seinen Arm in den After einer Kuh schiebt, um ihre Gebärmutter für den Samen zu öffnen, eine Praktik die in jedem anderen Kontext als Bestialität beschrieben werden würde. Bei Schafen ist es ähnlich: Sie werden so gezüchtet, dass sie viel mehr Wolle produzieren als sie sollten, weil es nur dann Sinn macht sie überhaupt zu scheren. Dadurch erleiden sie beispielsweise häufiger Infektionen. Und auch Hühnern ergeht es kaum anders: Sie legen normalerweise nur 10-15 Eier im Jahr. Jeden Tag eines zu legen erschöpft ihren Körper und hat negative gesundheitliche Folgen. Die Männchen werden in der Ei-Industrie meist geschreddert oder vergast. Dasselbe trifft auch auf Bio- oder Freilandprodukte zu. Es gibt darüber hinaus eine Studie, die herausfand, dass Hühner in der Freilandhaltung genauso viel wie oder sogar noch mehr Stress als Hühner in anderen Haltungsformen erleben. Grund dafür ist, dass Hühnern auf Grasflächen oft keine Versteckmöglichkeiten zur Verfügung stehen und sie nicht mehr als ungefähr 30 Tiere erkennen können. Das Risiko für Verletzungen und Krankheiten ist ebenfalls immens. Und im Endeffekt werden auch all diese Tiere frühzeitig getötet. Dazu muss man sagen, dass als human bezeichnete Schlachtungen durch Bolzenschusspistole, Gewehr oder elektrische Betäubung ebenfalls zu Angst und Schmerzen führen, da sie oft nicht beim ersten Mal funktionieren, was dazu führt, dass Tiere bei vollem Bewusstsein die Kehle aufgeschnitten wird oder sie ins Enthaarungsbecken geworfen werden und die Tiere sehen und/oder hören was mit ihren Artgenossen geschieht, wie man in Filmmaterial von versteckten Kameras wie z. B. in Dominion oder Earthlings sehen kann. Ganz zu schweigen von Meerestieren, die einfach erstickt oder erschlagen werden, obwohl sie, wie Landtiere, fühlen können. Wenn wir also ehrlich sind, würden die Methoden, die wir für Tiere als ethisch einstufen bei Menschen als Folter beschrieben werden.
Übrigens sind Bienen nicht davon ausgenommen: Wilde Bienen werden durch die Honigherstellung vertrieben, Bienenköniginnen meist die Flügel gestutzt, damit das Volk an den Stock gebunden ist und wenn sie nach Ende der Saison nicht getötet werden, sterben zumindest einige von ihnen beim Entnehmen des Honigs.
Ein anderes Problem ist der Effekt, den es auf die Umwelt hätte, wenn wir tatsächlich alle Tiere auf Weiden halten würde. Bereits jetzt werden 80% der landwirtschaftlichen Flächen und ⅓ der gesamten irdischen Landmasse von der Tierindustrie genutzt. Die Ausbauung dieser Flächen führt dementsprechend zur weiteren Abholzung von Wäldern und der Gefährdung von Tierarten. In den USA wurden Wildpferden durch den Ausbau von Wiesenflächen zum Beispiel Weidemöglichkeiten genommen und Raubtiere werden standardmäßig erschossen, um die Herde zu schützen.
Nun hilft dieses ganze Wissen aber nichts ohne hinzuzufügen, dass es in keinster Weise gesundheitsschädigend ist sich ausschließlich pflanzlich zu ernähren. Die Academy Of Nutrition And Dietetics, welche zur Zeit die größte Organisation im Gebiet Ernährung ist, gibt folgendes an:
“Es ist die Position der Academy of Nutrition and Dietetics, dass eine gut geplante vegetarische Ernährung, inklusive einer veganen Ernährung, gesund und bedarfsgerecht ist und womöglich gesundheitliche Vorteile in der Prävention und Therapie einiger Erkrankungen bieten könnte. Diese Ernährungsweisen sind angemessen für alle Lebensabschnitte inklusive der Schwangerschaft, Stillzeit, dem Säuglings-, Kinder- und Jugendalter sowie für Senioren und Athleten.”
Andere Organisationen wie die British Nutrition Foundation, das DGS in Portugal, BMSGPK in Österreich oder die Dietitians Of Canada treffen ähnliche Aussagen. Das einzig zu beachtende ist gegebenenfalls die Einnahme eines B12-Supplements. Da dieser Nährstoff allerdings nur von Bakterien stammt und den Tieren zugefüttert wird überspringt man hier lediglich einen Schritt.
Es gibt natürlich auch andere Hürden als nur die Gesundheit. Fehlendes Geld, Impraktikabilität oder sozialer Druck könnten eine vegane Lebensweise verhindern. In der Realität sind pflanzliche Produkte jedoch flächendeckend günstiger oder gleicher Maßen teuer wie tierische. Bei veganen Alternativen zu Wurst, Käse, Schnitzel oder ähnlichem wird zwar oft draufgeschlagen -nicht zuletzt durch die höhere Besteuerung – hält man sich hingegen an Reis, tiefgekühltes Gemüse, Kartoffeln, Nudeln und andere Grundlebensmittel kommt man auf keinen besonders hohen Preis. Und wenn man auf die Machbarkeit anspielen will, darauf, dass man manchmal zum Beispiel Tabletten nehmen muss, die an Tieren getestet wurden oder, dass es Situationen gibt, in denen man vielleicht sein Leben schützen und dafür ein Tier töten muss, dann diskreditiert dies doch aber nicht den Grundsatz diese Art von Leid möglichst immer dann zu vermeiden, wenn nicht gerade das eigene Leben davon abhängt. Wir würden das Töten in Selbstverteidigung ja auch nicht als Rechtfertigung für wahllosen Mord heranziehen.
Spricht man allerdings davon, dass Tierversuche notwendig sind liegt man falsch. Es ist zwar notwendig gewisse Tabletten herzustellen und zu nehmen, aber nicht diese an Tieren zu testen. Wir haben zahlreiche andere Modelle zum Testen von neuen Behandlungsmethoden oder Medizin. Und viel wichtiger noch: Die Übertragbarkeit auf den Menschen ist keineswegs garantiert, da unsere Körper ganz anders funktionieren als die von Mäusen, Hunden oder Katzen. Nur weil manche medizinischen Errungenschaften auf Tierversuche zurückgeführt werden, heißt das nicht, dass man sie nicht auch anders hätte erreichen können. Besonders, wenn man beachtet wie viele Lösungsanssätze bei Tieren wirkten und dann bei Menschen versagten.
Und selbst wenn Tierversuche einen Nutzen hätten, so bringen sie weitaus mehr Schaden. 115 Millionen Tiere sterben jährlich an Tierversuchen. So viele Menschen sterben im gesamten Jahr noch nicht mal dann, wenn man alle Todesursachen zusammenrechnet.
Auch die Wichtigkeit der Jagd wird überschätzt. Das Argument es müsse sein, um Überpopulation zu verhindern, entspricht meist nicht der Wahrheit, da Tiere in vielen Fällen angefüttert werden oder ihre Zahl durch die Störung der sozialen Gruppe noch weiter steigt. Und wenn es von einer Art mal zu viele gibt, kann man dem mit reversibler Geburtenkontrolle entgegen wirken. Momentan wird diese Methode bereits dann angewendet, wenn Wildtiere an einer auf Menschen übertragbaren Krankheit leiden.
Es kursieren ebenso Bedenken, wir könnten die Bevölkerung nicht ernähren, wenn wir aufhören Tiere zu benutzen. Dabei wird allerdings vergessen, wie viel Landmasse benötigt wird, um Tiere zu halten und ihnen Futter zu beschaffen. Wie bereits oben erwähnt werden landwirtschaftliche Flächen meist dafür genutzt. Und dass, obwohl sie nur 17% der weltweiten Kalorienbedarfs decken.
Dadurch ist auch die Sorge mehr Tiere würden durch die Ernte für pflanzliche Lebensmittel sterben unbegründet. Zwar sterben bei der Ernte von Lebensmitteln Tiere, jedoch gerade deswegen sollte man die Menge an Pflanzen reduzieren die man auf diesem Wege gewinnen muss, was die vegane Lebensweise bereits tut. Selbst wenn man von der reinen Weidehaltung spricht, so würden die Tiere, die ihren Lebensraum verlieren oder aufgrund dessen, dass sie eine Gefahr darstellen erschossen werden und die, die letzendlich für ihr Fleisch getötet werden gegenüber den Tozen der Ernte überwiegen. Ähnlich sieht es mit der Überlegung aus, Pflanzen hätten möglicherweise Gefühle bzw. zumindest ein Schmerzempfinden. Zum einen ist das aufgrund ihres fehlenden Nervensystems sehr unwahrscheinlich und zum anderen wäre der Veganismus selbst dann die bessere Entscheidung, da der direkte Verzehr von Pflanzen den Verbrauch dieser reduziert.
Das einzige was einem als Veganer tatsächlich bevorsteht, ist soziale Ablehnung oder zumindest Diskussionen. Die Familie und teils auch die Freunde akzeptieren einen nicht zwangsläufig, zumindest nicht sofort. Es wird mit relativer Sicherheit zu Fragen und Vorurteilen kommen. Doch nur so kann man Mythen aufklären, die Hintergründe erläutern und den Veganismus normalisieren.
Was jetzt noch einer persönlichen Änderung im Wege stehen könnte, ist der Glaube man könne sowieso nichts ändern. Klar kann niemand mehr das spezielle Tier, welches tot im Supermarkt liegt, retten. Vielmehr verhindert man, dass weitere Tiere dasselbe Schicksal erleiden. Wenn sich die Nachfrage für ein Produkt erhöht, kurbelt das die Herstellung an. Das heißt, wenn du nicht-vegane Produkte kaufst, werden mehr Tiere gezüchtet und demnach durch die Industrie missbraucht und getötet. Zusätzlich verbreitet sich der Veganismus, desto mehr Personen seinen Prinzipien folgen. Andere Leute werden somit ermutigt sich mit dem Thema zu beschäftigen. Nur so erfolgt gesellschaftliche Änderung.
Natürlich ist eine Umstellung schwer, noch dazu schmecken den meisten nicht-vegane Lebensmittel. Doch weder Genuss noch Einfachheit rechtfertigen unmoralisches Verhalten. Dabei ist es egal, ob man durch Zuschauen vom Leid der Tiere profitiert, wie bei Hunde- und Stierkämpfen oder auch in Zoo und Zirkus, durch den Geschmack wie beim Essen von Käse, Fisch, usw. oder des schönen Aussehens beim Tragen von Echtlederjacken, Seide oder unveganem bzw. an Tieren getestetem Make-Up.
Ihr habt vielleicht diesen Monat vom “Veganuary” gehört, einem Programm, dass den Einstieg in eine vegane Lebensweise zusätzlich vereinfacht, indem es euch Rezepte und Tipps zur Verfügung stellt. Glücklicherweise gibt es das ganze Jahr über ähnliche Programme, wie z. B. Challenge 22 oder Vegan Bootcamp.
Abschließend kann man sagen: Der Veganismus sollte nichts sein, wofür Leuten applaudiert und als wahre Tierliebhaber gefeiert werden. Denn mal abgesehen davon, dass wir den Tieren, denen wir nahe stehen so etwas niemals antun würden, muss man Tiere nicht lieben, um sie in Ruhe zu lassen, genauso wenig wie man jeden einzelnen Menschen, dem man gerade nicht schadet, lieben muss.
Der Veganismus sollte die Norm sein, da man es als Veganer schlichtweg unterlässt Tieren zu schaden. Und das ist das Minimum.
Julia Isabelle Blum
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